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„Die evangelische Theologie braucht einen deutlicheren Fokus auf Künstliche Intelligenz.“

Bild zum Beitrag „Die evangelische Theologie braucht einen deutlicheren Fokus auf Künstliche Intelligenz.“

Veröffentlicht am 9. Oktober 2023

Unter dem Titel „Von Angesicht zu Angesicht: Menschsein im Spiegel Künstlicher Intelligenz (KI)“ lädt ein breites Netzwerk kirchlicher und kirchennaher Organisationen – darunter die Kirchliche Hochschule Wuppertal – am 10. November 2023 zu einer Online-Tagung ein, die sich den aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen rund um das Thema KI widmet. Initiator und Mitveranstalter Prof. Dr. Jörg Kopecz erklärt, wie Künstliche Intelligenz und Theologie zusammenspielen, welche Rolle die evangelische Theologie bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz übernehmen könnte und warum sie dieser Aufgabe bislang nur unzureichend nachkommt. Der Videomitschnitt des Interviews kann hier abgerufen werden.

Herr Kopecz, welche gesellschaftlich relevante Rolle kann die evangelische Theologie beim Thema Künstliche Intelligenz spielen?

Kopecz: Zunächst einmal kann sie das Thema und den öffentlichen Diskurs dazu begleiten. Wesentliche Aufgabe der Theologie sollte dabei sein, diesen Diskurs nach theologischen, ethischen und protestantisch-christlichen Werten mitzugestalten, konkret etwa bei den Leitlinien zu KI, die zurzeit überall entstehen. Da ist es dann wichtig, dass wir auch unsere christlich-ethischen Werte wiederfinden, was wir zurzeit nicht tun. Darüber hinaus sollte die Theologie aufklären und einordnen. Was bedeutet KI für die Menschen, die vielleicht von starken Veränderungen durch die KI betroffen sind? Und natürlich sollte Theologie dafür sorgen, dass die Verlierer dieser Transformation nicht abgehängt werden, sondern im Blick behalten, aufgefangen, weiterqualifiziert und begleitet werden.

Nimmt die evangelische Theologie diese Aufgabe wahr?

Kopecz: Sehr bedingt. Zwar haben einige Landeskirchen erste Schritte gemacht und das Thema KI im Zuge der ganzen Fragen rund um die Digitalisierung als Fortführung begriffen. Aber in Summe sind das nicht so viele wie nötig wären, auch angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel vollzieht. Die katholische Kirche ist da weiter. Sie hat mit dem IT-Konzern IBM ein KI-Labor gegründet, in dem sie den damit verbundenen Fragen gezielt nachgeht. Initiativen dieser Art sehe ich auf der protestantischen Seite gar nicht.

Was muss sich ändern?

Kopecz: Wir brauchen ähnlich wie beim Klimawandel einen deutlicheren Fokus auf KI. Denn KI wird unser Leben vollumfänglich verändern – und tut es bereits – weil wir mit Fragen konfrontiert werden, die substantiell sind und unsere Existenz betreffen, auch in unserer Beziehung zu Gott.  Ich wünsche mir, dass die Theologie hier mehr Fragen stellt und mehr Antworten liefert und zu einem Gegenüber wird, das wahrgenommen wird in der öffentlichen Diskussion.

Sie richten die KI-Tagung, die 2018 erstmalig stattfand, in diesem Jahr zum fünften Mal aus. Haben Sie in dieser Zeit Fortschritte erzielt? Oder fangen Sie jedes Mal wieder von vorne an?

Kopecz: Ich hoffe nicht, dass wir immer von vorne anfangen. Ich sehe eine ganze Reihe von Ansätzen. Am Anfang suchte der Arbeitskreis evangelischer Unternehmer im Rahmen der Tagung vor allem das Gespräch mit Kirchenvertretern. Das war der Start 2018. Mittlerweise hat sich das zu einem ganzen Netzwerk ausgeweitet. Bei der diesjährigen Tagung sind bereits sieben weitere Partner im Veranstalterkreis mit dabei, unter anderem die Kirchliche Hochschule Wuppertal, der Bund katholischer Unternehmer und die Caritas. Wir sehen heute also eine viel größere Bereitschaft und die Einsicht in die Notwendigkeit, nicht nur über KI zu sprechen, sondern die Diskussionen auch interdisziplinär zu führen.

Und inhaltlich?

Die Fähigkeit aus verschiedenen Sphären heraus miteinander zu reden, das geht nicht von alleine. Wir reden oft von interdisziplinärem Austausch, der muss aber gelernt sein, dafür müssen sich alle Seiten aufeinander einlassen. Da gibt es inzwischen deutliche Fortschritte, sodass wir weniger aneinander vorbeireden als vor fünf Jahren. Wir sprechen heute nicht mehr nur auf Unternehmerebene, sondern auch mit leitenden Geistlichen sowie mit Studierenden aus den Disziplinen Theologie, Betriebswirtschaft und Technik. So bringen wir verschiedene Sprachen und Domänen zusammen, sodass nicht jede in ihrer eigenen Blase bleibt und dort womöglich Probleme löst, die andere gar nicht haben.

Was sind die herausragenden Fragestellungen bei der diesjährigen KI-Tagung?

Kopecz: Zum einen werden wir uns klar machen, wo wir aktuell eigentlich stehen beim Thema KI. Wir haben in letzter Zeit einen enormen Hype erlebt durch ChatGPT. Dadurch ist der Fokus auf KI heute sehr viel stärker und die Bewunderung dafür sehr viel größer geworden, was inzwischen alles geht. Es ist daher wichtig, das zu entzaubern, aus dem Hype herauszuholen und zu klären, wie wir denn jetzt damit umgehen wollen. Und ein weiterer Punkt: Ich sehe eine enge Verbindung zwischen dem Anwachsen der Nutzung von KI und dem, was wir Enhancement nennen, also dem, wie sich Menschen mit Systemen der künstlichen Intelligenz wie der Robotik verbinden. Auch darüber müssen wir reden. Denn beide Trends, Nutzung und Verbindung, bewegen sich aufeinander zu. Und bedeuten letztendlich ein verändertes Menschenbild.

Wie wird KI die Arbeit in den Kirchengemeinden verändern?

Kopecz: Kurzfristig haben wir es bereits mit den bekannten Themen zu tun. Sie können mit Hilfe von KI Texte schreiben und Predigten erstellen. Dann gibt es diesen ganzen Bereich von Fake-News und Fake-Videos, die unsere Wahrnehmung von Realität beeinflussen. Wie gehen wir damit um? Und wie behalten wir vor allem unseren christlich-ethischen Kompass in dieser Welt, die immer komplexer werden. Eine Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern wird sicherlich sein, ein Kompass zu sein und Orientierung bei all diesen Dingen zu geben, die den Gemeindemitgliedern passieren.  Langfristig wird es so sein, dass wir KI-Systeme in allen Formen der Kommunikation und der Dokumentation sehen werden. Dazu gehören auch Gottesdienste, wie es auf dem Kirchentag in Nürnberg ja bereits demonstriert wurde. Dieser war noch nicht der große Wurf, aber er zeigte die Richtung auf, in die es geht. Neben den Pfarrerinnen und Pfarrern wird es in den Gemeinden KI-basierte Systeme geben, die zum Beispiel in der Seelsorge und in der Diakonie arbeiten und tätig sind.

Die Kirchliche Hochschule Wuppertal, in deren Kuratorium Sie Mitglied sind, ist eine der Kooperationspartner der diesjährigen KI-Tagung. Welche Rolle kann die Hochschule als kirchliche Bildungseinrichtung beim Thema KI spielen?

Kopecz: Ich wünsche mir, dass wir, indem wir Studierende und Hochschuleinrichtungen einbinden, vor die Welle kommen. Bisher reagieren wir auf kirchlich-christlicher Ebene, wenn überhaupt, nur auf Entwicklungen und laufen ihnen hinterher. Durch die Einbindung der KiHo Wuppertal und auch der Technischen Hochschule Stuttgart hoffe ich, dass wir stärker die Studierenden erreichen, die ja in Zukunft wichtige Funktionen innerhalb der Kirche haben werden. Und ich sehe bislang nicht, dass Themen wie KI Bestandteil des Curriculums werden, was ich mich sehr wünschen würde. Deshalb halte ich es für wichtig, die Studierenden bereits in einer frühen Phase einzubinden, sodass dort eine entsprechende Kompetenz entsteht, die ihnen hilft, später in Form von Verkündigung oder anderer Form Verantwortung in der Kirche zu tragen und diese Verantwortung auch auszufüllen.

Gemeinsam mit Professor Dr. Markus Mühling, Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, bieten Sie im kommenden Wintersemester ein Seminar mit dem Titel ‚Künstliche Intelligenz und Personalität in theologischer Perspektive‘ an. Worum geht es in diesem Seminar?

Kopecz: In diesem Seminar widmen wir uns Fragen wie: Kann künstliche Intelligenz eine Person sein, also eine Identität haben? Was bedeutet das für unser Personenverständnis und unser Menschenbild? Was heißt es aber auch für unsere Beziehung zu Gott, wenn wir uns von einem Roboter segnen lassen, wie es am Flughafen Stuttgart heute schon möglich ist? Sind wir dann gesegnet? Oder ist es nur das Abbild einer Segnung? Was bedeutet es für unser Schöpfungsverständnis insgesamt, wenn KI mehr und mehr Eigenschaften annimmt, die wir sonst nur Menschen zuschreiben? Dem wollen wir nachgehen. Und auch überlegen, was bedeutet das letztendlich für das Handeln von uns als Theologin und Theologe und als Menschen in Gesellschaft und Gemeinde?

Reicht es, diese Frage auf einer theologisch-ethischen Ebene zu erörtern? Oder müsste die digitale Expertise auch in technisch-handwerklicher Perspektive stärker in das Theologiestudium integriert werden?

Kopecz: Ich werde in dem Seminar zunächst einen Überblick darüber geben, was KI ist und wie sie funktioniert. Ohne Mathematik, ohne IT: Die Teilnehmenden sollen ein Gefühl dafür bekommen, wo die Entwicklung hingeht. Ich glaube nicht, dass Theologinnen und Theologen künftig auch fundierte IT-Kenntnisse haben müssen. Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, ihnen ein entsprechendes Domänenwissen und Kompetenz da ist, um Entwicklungen einordnen zu können. Wie weit sie dann stärker in die KI einsteigen, bleibt ihrem persönlichen Interesse überlassen. Ich finde aber, dass wir gerade zu solchen Themen, und da Ist KI nicht das einzige, Nachhaltigkeit, Umwelt, Klima mit dazu, wir brauchen diese Elemente auch im Theologiestudium, um die Anbindung an die Umwelt zu haben, in der Theologie ja wirken soll. KI ist für mich eines dieser Themen.

Zur Person

Prof. Dr. Jörg Kopecz studierte Theologie und Physik und ist u.a. Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises evangelischer Unternehmer und im Kuratorium der Kirchlichen Hochschule Wuppertal.

Zur KI-Tagung

Die KI-Tagung „Von Angesicht zu Angesicht: Menschsein im Spiegel Künstlicher Intelligenz (KI)“ findet am 10. November 2023 von 10.00 bis 17.30 Uhr online statt. Die Teilnahme ist kostenfrei. Alle Informationen zu Programm und Anmeldung finden sich >>> hier >>>.